Bernardino de Sahagún im Kontext der frühen Geschichtsschreibung über die Conquista Mexikos

 

Felix Hinz

Dezember 2004

 

Berichte über Hernán Cortés

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Der Franziskaner Bernardino de Sahagún, Autor der Historia general de las cosas de Nueva España, war eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten seiner Zeit. Sahagún traf 1529 in Neuspanien ein, also acht Jahre nach der Unterwerfung Tenochtitláns durch Hernán Cortés. Seine Mitbrüder hatten bereits mit der Bekehrungsarbeit unter den Nahuas begonnen, doch zwei hauptsächliche Probleme wirkten ihren Bemühungen entgegen: Erstens gab es für Millionen von zu Bekehrenden bisher nur zwei oder drei Dutzend Missionare, und diese hatten zweitens zwar teilweise das Náhuatl gelernt, von der Kultur der Nahuas aber nur sehr vage Vorstellungen. So konnte es geschehen, daß heidnische Gebräuche nicht nur in den Missionaren unzugänglichen Regionen fortexistierten, sondern gleichsam unter ihren Augen, ohne daß sie es bisweilen überhaupt erkannten. Leichtfertige Übersetzungen religiöser Begriffe mit vermeintlich entsprechenden Konzepten aus der Lebenswelt der Nahuas mußten zu Entstellungen, Verzerrungen und Synkretisierung der christlichen Lehre führen.

Dies jedoch war für die spiritualen Franziskaner, die in Zentralmexiko die Bekehrung hauptsächlich durchführten, ein unannehmbarer Zustand. Ihre Ideale strebten fort von der durch Luxus und weltliche Machtgelüste korrumpierten damaligen Papstkirche zurück zum reinen Christentum der Urgemeinde Jerusalems unter Jesus und seinen Jüngern. Sie verstanden die sogenannte Neue Welt als Chance für einen Neuanfang des Christentums nach ihren strengen Vorstellungen.

Zunächst hatten sie geglaubt, das indianische Heidentum, das nach ihrem Verständnis für die Heilsgeschichte und die individuelle Erlösung ja völlig irrelevant war, durch Predigt widerlegen und völlig beseitigen zu können. Man könnte diesen naiven Ansatz von der Tabula rasa mit der Vorstellung vergleichen, daß die indianische Religion löschbar sei wie man eine Festplatte formatieren kann, und daß es dann ohne Schwierigkeiten möglich sein würde, ein anderes, reines christliches Betriebssystem darauf zu installieren. Die mesoamerikanische Religion jedoch durchzog alle Bereiche der Kultur, sei es Krieg, sei es Politik, häusliches Leben, Landwirtschaft oder soziale Organisation. Die Nahuas stellten an ihre Religion zudem andere Ansprüche als der spanische Christ an seine. Die Erlösung ihrer Seelen war ihnen egal, da sie das Konzept moralischer Verfehlung bisher gar nicht kannten. Stattdessen verlangte es sie beispielsweise nach Ritualen, die ihnen eine gute Ernte, Regen oder ein Gedeihen ihres Stadtstaates garantierten. - Das Problem bestand nicht darin, daß die Nahuas keine christlichen Elemente übernommen hätten, doch ihre alte Religion gaben sie deswegen nicht auf. Wenn man wieder ein Bild bemühen möchte: Sie nahmen die Fremden zwar gern in ihr Haus auf und ließen sich gern von der Nützlichkeit einiger der von diesen eingeführten Einrichtungsgegenstände überzeugen, ihren eigenen Hausrat stellten sie jedoch deshalb nicht vor die Tür.

Die Missionare hatten zunächst geglaubt, daß es genügte, die heidnischen Priester am Ausüben ihres Kultes zu hindern, die indianischen Tempelpyramiden schleifen zu lassen und das Wort ihres Gottes zu predigen. In seinen Colloquios y Doctrina Christiana berichtet Sahagún in verkürzter Form von diesen Bemühungen. Die Franziskaner setzten sich mit heidnischen Priestern zusammen und versuchten sie in der Form einer Disputation europäischer Universitätstradition zu „überzeugen“ – oder man sollte besser sagen: zur Aufgabe zu „überreden“. Schiedsrichter gab es nicht, denn die Missionare waren von ihrem Sieg überzeugt. Sie legten die Grundzüge des christlichen Glaubens dar und verwiesen dann auf die Heilige Schrift, um ihre Ausführungen mit der Feststellung abzuschließen: „Da kann niemand es widerlegen,/ wer auch noch so gelehrt auf Erden ist.“ Die mexicanischen Priester schwiegen, weil sie natürlich kein Buch widerlegen konnten, daß sie nicht gelesen hatten. Sie bedauerten, daß die Gelehrtesten unter ihnen von den Conquistadoren getötet worden waren und machten schließlich den zaghaften Versuch, ein friedliches Nebeneinander beider Religionen anzubieten, wurden hier aber unwirsch von den Franziskanern unterbrochen: „Jetzt, wenn ihr [!] nicht/ hören wollt [, ...]/ werdet ihr sehr große Gefahr laufen./ Und Gott, der angefangen hat/ mit eurer Vernichtung,/ wird es zu Ende führen,/ (daß) ihr ganz zugrunde gehen werdet.“ In den Augen der Missionare waren die heidnischen Indianer Kinder, denen man zugutehalten konnte, daß sie nicht wußten, was sie taten. Sie hatten nicht das Recht zu sprechen, sondern sollten ihre alte, nach christlichem Verständnis teuflische Religion vergessen und  sich gefälligst belehren lassen.

Doch so einfach funktionierte es in der Praxis natürlich nicht. Eine kulturelle und religiöse Vermischung fand statt, und wo das traditionell Indianische offiziell nicht geduldet wurde, da verschwand es oftmals unter einer christlichen oder spanischen Oberfläche – existierte unter dieser jedoch bisweilen lange Zeit unerkannt fort.

Als die Franziskaner einsahen, daß sie den heidnische Glauben nicht einfach beseitigen konnten, stellten sich bei ihnen Ernüchterung und Frustration ein. Sie hatten sich nicht mit der Nahua-Kultur in ihren Einzelheiten befassen wollen, da sie von der heidnischen Religion jedoch wie von einem allgemeinen Geschwür durchzogen war, würden sie es nicht vermeiden können, glaubte Sahagún. So ist seine Äußerung zu verstehen, daß er sich als Arzt verstehe, der erst die Krankheit seines Patienten studieren müsse, bevor er die richtige Diagnose stellen und das richtige Heilmittel anwenden könne. Sahagún befaßte sich also nicht aus ethnologischem Interesse mit der Nahuakultur, sondern mit missionarischen Absichten.

Soweit wäre der Fall Sahagún nicht weiter schwierig zu interpretieren, doch er verkompliziert sich durch die besondere Technik, die er beim Erstellen seiner Chronik anwandte. Es ist einigermaßen bekannt, daß er indianische Informanten befragte und dem behandelten Thema auch dadurch möglichst nahe zu kommen bemüht war, daß er die Chronik zunächst auf náhuatl verfaßte. Es wäre jedoch völlig verfehlt, den uns heute überlieferten Náhuatltext als stenographische Aufzeichnungen seiner damaligen Informanten zu deuten. Die ursprünglichen Notizen Sahagúns und seiner Informanten sowie die Bilder, die diese ihm gezeichnet hatten, sind leider allesamt verloren. Wenn wir hingegen den Codex Florentinus betrachten, so müssen wir uns vergegenwärtigen, daß dies die Abschrift einer Abschrift und die Überarbeitung einer Überarbeitung durch Sahagún und seine christianisierten Co-Autoren darstellt. Denn auch diese müssen wir bedenken. Die Franziskaner hatten in Tlatelolco eine Oberschule für angehende indianische Fürsten und christliche Priester eingerichtet, und hier arbeitete Sahagún zusammen mit einigen der dortigen Schüler. Diese Schüler waren zwar christianisiert, empfanden jedoch naturgemäß eine enge Verbundenheit mit ihren adeligen Stammhäusern und z.T. auch noch mit der Religion ihrer Väter. Gegen einige von ihnen wurden sogar Inquisitionsprozesse angestrengt. Im berühmten Fall Don Carlos hat die weltliche Gewalt sogar das Todesurteil vollstreckt. So entstanden Tendenzen und Strömungen in der Historia general, mit denen Sahagún bisweilen gar nicht einverstanden war. Seinen Unmut bekundet er in solchen Fällen in der spanischen Textvariante. Diese wiederum ist also nicht schlicht die spanische Übersetzung des Náhuatltextes, sondern im Grunde eher der Kommentar des franziskanischen Missionars.

Warum aber verwarf Sahagún nicht einfach den indianischen Text? Die Antwort lautet: Weil der Náhuatltext der eigentliche Text werden sollte, weil Sahagún an einer Interpretation der Nahua-Kultur und Geschichte arbeitete, die jedes kleinste Detail berücksichtigt und umdeutet, weil der Náhuatltext der christlichen Bekehrung dienen sollte. Er gibt sich indianisch, ist es aber – soweit Sahagún dies kontrollieren konnte – nur scheinbar. Die Náhuatlschriften aller Franziskaner sollten nicht den Spaniern oder gar uns heute die Nahuakultur näher bringen, sondern sie waren franziskanische Propagandaschriften auf náhuatl. Der spanische Text wiederum sollte die Kritiker Sahagúns, die des Náhuatls nicht mächtig waren, durch Transparenz beruhigen und auch diejenigen Missionare informieren, die als Neuankömmlinge in ihr zukünftiges Missionsgebiet eingewiesen werden mußten.

Diese Behauptungen sollen nun anhand einiger prägnanter Beispiele des 12. Buches erläutert werden, das von der Eroberung Tenochtitláns durch Hernán Cortés handelt.

 

Fray Bernardino de Sahagún OFM (ca. 1499-1590)

Die Cartas de relación des Cortés sind die ältesten und unmittelbarsten Quellen zur Conquista Mexikos. Wie auch immer die Chroniken des 16. Jahrhunderts sich aufeinander beziehen – die cartas sind immer der Ausgangspunkt. Eines der entscheidenden Charakteristika der cortesianischen Darstellung ist seine Selbststilisierung zum Caesar der Neuen Welt. Wie dieser schreibt er mit seinen cartas seine eigenen commentarii und siegt laut eigener Darstellung nicht zuletzt durch überlegene Technik und Planung. Cortés berichtet, wie er Städte gründete, Straßen anlegte, Flotten zerstörte und baute, wie er Brücken und Panzertürme konstruieren ließ und durch geschickte Diplomatie die Indianer Mexikos gegeneinander ausspielte. Außerdem legt er dar, daß er einen gerechten Krieg führte und wird nicht müde, dies zu betonen. Auch bringt er zum Ausdruck, daß er Kastilien militärisch einen ebenso wichtigen Dienst erwiesen habe wie Caesar dem römischen Staat und daß auch er ein Staatsmann von Format sei. Cortés also sah sich als Caesar im Sinne des Feldherrn und Zivilisators schlechthin.

Alle folgenden Chroniken haben hierzu auf ihre Weise Stellung genommen – so auch Sahagún. An dem Heiden Caius Iulius konnte er kein großes Interesse haben, in bezug auf die Bekehrungsgeschichte der Nahuas war es jedoch möglich, Cortés als Caesar stehen zu lassen – allerdings umgedeutet in Titus Vlavius Vespasianus Caesar. Titus hatte 70 n.Chr. Jerusalem belagert, das damals von den Zeloten verteidigt wurde. Auf den ersten Blick scheint es verwunderlich, daß Cortés demnach mit dem Heiden Titus und die Mexica mit den Zeloten gleichgesetzt werden, mit Angehörigen des Volkes Israel, mit dem Gott doch eigentlich den Bund geschlossen hatte. Der Schlüssel zum Verständnis liegt in einem antiken Werk, dessen Bedeutung für die frühe Historiographie über die Eroberung Mexikos bisher in der Forschung kaum wahrgenommen wurde - aber kaum überschätzt werden kann: Dem Bellum Iudaicum des Flavius Josephus. Josephus war ebenso Jude wie die Zeloten, durch die politische Situation jedoch gezwungen, mit den militärisch übermächtigen Römern gegen seine Landsleute zusammenzuarbeiten. Um sich nun aber von dem Vorwurf des Verrats reinzuwaschen, stellte Josephus die Zeloten als von Gott verlassene Perverse und Sünder dar, Titus andererseits als Instrument des göttlichen Zorns. Dem entsprechend sind die Mexica in Sahagúns Historia general grundsätzlich verstockte Sünder, Cortés jedoch ein Medium des zürnenden Gottes. „Malos y perversos“ hatte auch Cortés seine indianischen Feinde nach dem Desaster der Noche Triste genannt, obwohl er zuvor oft ihre hochstehende Kultur gerühmt hatte. Pervers und sündhaft waren ihre angeblichen sexuellen Praktiken und Menschenopfer – vor allem bzw. eigentlich aber ihr Widerstand gegen die Conquistadoren, die das Wort Gottes brachten und das Imperium des christlichen Kaisers für das letzte Gefecht gegen den sich in Luther ankündigenden Antichristen stärkten. Die Apokalypse, die Offenbarung des Johannes, ist daher der zweite wichtige Schlüssel zum Verständnis der sahagúnschen Geschichtsversion.

Die Conquistadoren sind in der Darstellung des Franziskaners zwar grausam, aber im Dienste Gottes und somit im Besitz der Wahrheit. Die Mexica aber sind verblendet und die von Satan Getäuschten. Lediglich Moctezuma wird von Gott erleuchtet. Gott kündigt ihm das Ende seiner Herrschaft durch Vorzeichen an. „Bedenkt man das alles,“ heißt es in diesem Sinne wiederum bei Josephus, „so findet man, daß Gott für die Menschen sorgt und ihnen auf mancherlei Weise zu erkennen gibt, was zu ihrem Heile dient, daß aber nur Torheit und selbstverschuldetes Elend sie ins Verderben stürzt. [...] Doch es ist den Menschen nicht möglich, dem Schicksal zu entrinnen, selbst wenn sie es voraussehen.“ Aber gleichzeitig sind die Zeichen der drohenden Zerstörung auch diejenigen der nahen Erlösung. Das alte, teuflische Tenochtitlán wird bestraft und wird sterben, damit das neue, christliche Jerusalem aufleben kann. Diesen christlichen Hintergrund bedenkt Tzvetan Todorov in seiner berühmten Abhandlung über Moctezuma und die Zeichen nicht und ist daher von Beginn an auf dem Holzweg.

Die in franziskanischen Quellen und leider auch noch in der aktuellen Forschungsliteratur immer wieder genannten Vorzeichen hat es nicht gegeben. Ein Blick in die kurz nach der Conquista entstandenen Annalen von Tlatelolco, denen sicherlich jede halbwegs glaubwürdige Erklärung der mexicanischen Niederlage recht gewesen wären und die Himmelserscheinungen oft nennen ohne sie allerdings zu deuten, zeigt für das Jahr 1508, in dem die Vorzeichen angefangen haben sollen: „Im Jahr 3 técpatl [Feuerstein] passierte nichts.“ Nicht nur aus diesem Grund wird mit Sicherheit kein indianischer Informant Sahagún von diesen Erscheinungen erzählt haben, vielmehr liegen die kulturellen Wurzeln dieser ´Zeichen´ hauptsächlich in der abendländischen antiken Wahrsagekunst.

Zeichen haben stets nur den Sinn, den man ihnen unterlegt. Sie können je nach Kontext dies oder auch jenes bedeuten. Nehmen wir, um dies besser zu verstehen, zunächst den Fall, daß vermeintliche Vorzeichen als falsch zurückgewiesen werden. Zunächst ein Beispiel bei Flavius Josephus. Dort heißt es etwa:

 

Ein heftiges Erdbeben verheerte das Reich des Herodes. „Das Gerücht nun, das traurigen Vorfällen immer noch etwas Schlimmeres anhängt und jetzt eine Verwüstung von ganz Judaea meldete, stärkte den Mut der Araber gewaltig. [...] Als nun das [jüdische] Kriegsvolk [...] in den größten Schrecken geriet und infolge der Schlag auf Schlag eintretenden Unglücksfälle völlig niedergebeugt war, rief Herodes dasselbe zusammen und suchte es durch die folgende Ansprache anzufeuern. ´Widersinnig scheint es mir, daß ihr euch jetzt so in Furcht jagen laßt. Daß freilich die von Gott gesandten Plagen euch ängstigen, ist natürlich; wenn aber ein Angriff von Menschen denselben Eindruck bei euch erzeugt, so ist das unmännlich. Was mich betrifft, so bin ich so weit entfernt, nach dem Erdbeben vor meinen Feinden mich zu fürchten, daß ich vielmehr glaube, Gott habe mit demselben den Arabern gewissermaßen eine Lockspeise hinwerfen wollen, damit sie über uns herzufallen veranlaßt würden. [...] Eine Hoffnung aber, die sich nicht auf eigene Kraft gründet, sondern auf fremdes Mißgeschick, trügt gar sehr. [...] Lasset euch also durch Naturerscheinugen nicht bange machen und haltet nur ja die Erderschütterung nicht für ein Anzeichen weiteren Unheils.´“

 

Diese Argumentationsmuster finden sich auch in den Berichten des Hernán Cortés:

„Ich [also Cortés] rückte eines Nachts [...] mit 100 Fußsoldaten und mit unseren befreundeten Indianern und den Reitern aus, und eine legua vom Lager entfernt stürzten mir fünf der Pferde und Stuten, die ich mitführte, so daß ich sie auf keinen Fall weiter mitnehmen konnte, und ich ließ sie umkehren. Und obwohl alle meiner Kompanie sagten, daß ich umkehren solle, weil dies ein schlechtes Omen sei, folgte ich dennoch meinem Weg in der Überzeugung, daß Gott der Natur überlegen sei.“

 

Insofern haben Vorzeichen per se keine Bedeutung. Literarisch erfüllen sie hier jeweils die Funktion, Position für oder gegen Gott zu beziehen und zuzuweisen. Sie dienen dazu, Alterität zu betonen und die Sache Gottes, die mit der eigenen Sache identisch sein sollte, als die gerechte darzustellen.

Genau dies leisten sie auch in der franziskanischen Geschichte der Conquista Mexikos. Hier begegnen einem immer wieder das angeblich einige Jahre vor der Conquista angesetzte Auftauchen des ´Feuerbüschels´, der Brand des Huitzilopochtli-Tempels, der Brand des Tempels von Xiuhtecutli [dem Feuergott], der ´Komet´ oder auch Meteor, das Aufschäumen der Lagune, die schreiende Geisterfrau, der kranichähnliche Vogel mit dem magischen Spiegel auf dem Kopf, in dem Moctezuma fremdartige Krieger erblickte, und die überdurchschnittlich häufige Geburt von Menschen mit zwei Köpfen bzw. Monstern. Bezüglich dieser konkreten Zeichen drängt sich einmal mehr der Vergleich Tenochtitláns mit dem sündigen Jerusalem auf. Bei Josephus heißt es:

 

„Auch stellten sich Wahrzeichen ein, welche von dem ruhigen Teile der Bevölkerung für unheilverkündend gehalten wurden [...]. Noch ehe die Römer heranzogen, hatte Jerusalem bereits das Ansehen einer dem Untergang geweihten Stadt.“

 

„In der Nacht [...] brach ein schreckliches Unwetter los: heftiger Sturm, gewaltige Regengüsse, unablässiges Blitzen mit furchtbaren Donnerschlägen und unheimliches Gebrüll der erschütterten Erde. Augenscheinlich war die Weltordnung zum Verderben der Menschen in Verwirrung geraten, und man mußte darin die Vorzeichen eines schweren Unglücks erkennen.“

 

Vernehmlich zeigten sich „die lauten Warnstimmen Gottes - so zum Beispiel, als ein schwertähnliches Gestirn über der Stadt stand und ein Komet ein ganzes Jahr lang am Himmel blieb, [... oder als] ein starkes Licht den Altar und den Tempel umstrahlte, daß man hätte glauben sollen, es sei heller Tag, eine Erscheinung, die fast eine halbe Stunde anhielt. [... Des weiteren] warf eine Kuh, die der Hohepriester als Schlachtopfer zum Altar führte, mitten im Tempel ein Lamm. [...] Vor Sonnenuntergang [...] sah man über der ganzen Gegend in der Luft Wagen und bewaffnete Scharen durch die Wolken dahineilen und Städte umkreisen. Weiterhin vernahmen [...] die Priester [...] ein Getöse und Rauschen, und später auch den vielstimmigen Ruf: ´Lasset uns von hinnen ziehen!´ [...] Ein ungebildeter Landmann [...] fing da plötzlich an zu rufen: ´Eine Stimme vom Aufgang, eine Stimme vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden; ein Fluch über Jerusalem und den Tempel, ein Fluch über Bräutigame und Bräute, ein Fluch über das ganze Volk!´ Tag und Nacht rief er dies, in allen Gassen der Stadt umherlaufend.“

 

In der griechischen und lateinischen Literatur finden sich zahlreiche Parallelen solcher Darstellungen. Zwar lassen sich einige der Zeichen ganz allgemein erklären: Das Erscheinen von Kometen war im europäischen Volksglauben Vorbote für die verschiedensten Unglücksfälle und folgenreiche Ereignisse: von Seuchen, Hungersnöten, Kriegen, Überschwemmungen über politische Umstürze bis hin zum Weltuntergang. Oft wurde der Komet als Gottesstrafe für menschliches Fehlverhalten gedeutet. Die ´Fackel Gottes´ sollte die Aufmerksamkeit der Menschen auf ihre Sünden lenken und sie zu Besinnung und Buße bewegen. Inwiefern die heidnischen Mexica nach spanischem Verständnis allen Grund hatten, ihre Sünden zu bereuen, hatte ich bereits erwähnt. Im Neuen Testament symbolisiert der Komet die Geburt des Heilands, das Kommen Gottes. Ebenso verhält es sich bei Sahagún. Wie kompliziert die Angelegenheit hinsichtlich der Conquista Mexikos jedoch ist, erkennt man daran, daß Díaz del Castillo die genannten Vorzeichen zwar als nachträgliche Erfindung zurückweist, aber 1527 tatsächlich einen Kometen über Tenochtitlán gesehen haben will, der die „Form eines Schwertes“ gehabt haben soll. Die Form eines Schwertes aber hatte laut Flavius Josephus auch derjenige Komet, der die Zerstörung Jerusalems anzeigte. Díaz del Castillo berichtet weiter, daß der Komet von den damals noch ungestört arbeitenden mexicanischen heidnischen Priestern aufmerksam beobachtet und als böses Omen gedeutet worden sei. Ein citlalin popoca, d.h. „rauchender Stern“, galt in der Nahua-Kultur als Zeichen für den Tod eines Fürsten oder für eine Hungersnot. Es ist anzunehmen, daß ein Komet in vielen Kulturen wegen seiner auffälligen und unerklärlich-unheimlichen Erscheinung als bedrohliches, schlechtes Zeichen interpretiert wurde, und daß dieses Vorzeichen sowohl vor dem europäischen als auch vor dem indianischen kulturellen Hintergrund eine bevorstehende Umwälzung ankündigte. Auch andere Vorzeichen könnte man ebenso als indianische Geschichtskonstruktion interpretieren: So bedeutet die Selbstentzündung des Huitzilopochtli-Tempels Krieg. Wenn der Haupttempel einer Stadt brannte, war dies ein Symbol für die Eroberung der betreffenden Stadt. Man hat es bei den angeblich auf die drohende Eroberung Tenochtitláns durch die Spanier verweisenden Vorzeichen also mit einer geschickten Synthese des antiken Vorzeichens ´Blitz´, der Manifestation von Jupiters Zorn, und mit dem indianischen Vorzeichen ´brennender Tempel´ zu tun. Weder hier noch dort verhieß ein solches Zeichen Gutes.

An den Vorzeichen entscheidend ist in der franziskanischen Darstellung, daß Moctezuma sie sieht und für sich zu deuten vermag. Letzteres erkennt man an seiner Reaktion: Er verzagt.

Schon beim Auftauchen Grijalvas, so das zwölfte Buch des Codex Florentinus, dachten die Abgesandten Moctezumas, „das ist Quetzalcouatl, unser Fürst, der gekommen ist.“ Als wenig später Cortés landete, sei Moctezuma überzeugt gewesen, daß es wiederum Quetzalcóatl sei, „indem er gewissermaßen so dachte:/ es ist unser Fürst Quetzalcouatl, der gekommen ist./ Denn so war sein Wille gewesen,/ daß er wiederkommen wird, daß er herkommt/ seinen Thron wieder einnehmen wird,/ weil er dorthin (nach Osten) gegangen war, als er fortzog.“  Man fühlt sich vage an die Erwartung des Messias durch die Juden erinnert.

Es muß an dieser Stelle angemerkt werden, daß Sahagún diese Version vom zurückerwarteten Quetzalcóatl in der spanischen Übersetzung der Historia general zurückwies. Möglicherweise beschritten seine Schüler, die den Text redigierten, hier Wege, die ihrem Meister nicht ganz geheuer waren. Nach christlichem Verständnis näherte die Geschichte stets den Verdacht, es habe sich bei Quetzalcóatl, da er aus dem Osten kam und so weise war, um einen Apostel gehandelt. Nur wer sich der Konsequenzen nicht bewußt war oder den Nahuas Böses wollte, konnte ihnen leichtfertig eine Urmission anbehaupten. Die subtile Beschuldigung einer solchen Darstellung war ja, die Nahuas seien nicht Heiden, was nicht ihre Schuld sein konnte, sondern vom Glauben abgefallene Ketzer, was strengste Strafen erforderte und jedwede Ausbeutung und Mißhandlung gerechtfertigt hätte. Sahagún aber wollte nicht verleumden, sondern bekehren. In diesem Sinne liebte er die Indianer.

Die Annalen von Tlatelolco, die, wie gesagt, einzige einigermaßen rein-mexicanische Quelle, kennt keine Quetzalcóatl-Legende. Dies ist das Hauptargument dafür, daß sie realhistorisch keine Rolle in den Überlegungen Moctezumas spielte. Sie geht letztlich wohl auch auf Cortés zurück, bei dem der Name Quetzalcóatls aber nicht fällt. Die berühmte, aber noch immer rätselhafte Moctezumarede bei Cortés lautet:

 

„Viele Tage ist es her, daß wir durch unsere Schriften von unseren Vorfahren Nachricht haben, daß weder ich noch alle, die wir in diesem Land leben, Eingeborene desselben sind, sondern Fremde und zu ihm aus sehr fremden Landesteilen gekommen sind. Und wir haben außerdem [Nachricht], daß ein Herr unser Geschlecht in diese Landesteile brachte, dessen Untertanen [wir] alle waren und der zu seinem Ursprungsort zurückkehrte. Und später kam er zurück nach langer Zeit, und zwar nach so langer, daß diejenigen, die geblieben waren, bereits mit den eingeborenen Frauen dieses Landes verheiratet waren, und sie hatten viele Nachkommen und Ortschaften gebaut, wo sie lebten. Und als er sie mit sich nehmen wollte, da wollten sie weder gehen noch ihn als Herrn anerkennen, und so kehrte er um. Und wir haben immer angenommen, daß diejenigen, die von ihm abstammen, kommen müßten, um dieses Land und uns als seine Vasallen zu unterwerfen. Und gemäß der Richtung, die ihr sagt, daß ihr da herkommt, die da ist, wo die Sonne aufgeht, und [gemäß] den Dingen, die ihr von diesem großen Herrn oder König [also Karl V.] erzählt, der euch hierher schickte, glauben wir und halten es für sicher, daß er unser natürlicher Herr ist, besonders weil ihr uns sagt, daß er seit vielen Tagen Nachricht von uns hat.“

 

Es muß dahingestellt bleiben, ob Cortés dies frei erfand, über seine Dolmetscher falsch verstand oder ob Moctezuma tatsächlich etwas Ähnliches gesagt hat. Es spricht einiges dafür, daß Moctezuma die Conquistadoren für eine Gruppe Krieger aus dem Land Kukulkáns hielt, d.h. aus Yucatán, wo sie ja auch tatsächlich herkamen. Archäologische Befunde weisen auf frühere Kontakte zwischen den Maya im Gebiet der heute Chichén Itzá genannten Ruinenstadt und den Tolteken hin, als deren Nachfolger die Mexica sich fühlten. Der Osten, das untergegangene Chichén Itzá, war den Nahuas Tlillan-Tlapallan – das Land der roten und schwarzen Farbe, das Land der Weisheit und der Künste, das Land Kulkáns, den die Nahuas Quetzalcóatl nannten. Wenn es einst tatsächlich einen Mythos um einen Kulturheros gab, der den Tolteken, den Vorgängern der Mexica, wichtige Zivilisationsgüter brachte und der dann wieder über das Wasser in den Osten verschwand, dann dürfte er mit den damaligen Kontakten zu tun haben. Genau läßt sich das heute schwerlich noch rekonstruieren, es sei denn, daß wider Erwarten neue Quellen erschlossen werden, die neue Aspekte ins Spiel bringen. Es ist möglich, daß Malinche und diejenige unter den Conquistadoren, die vor der Eroberung einige Zeit unter den Indianern Mexikos gelebt hatten, mit diesen Sagenkreisen vertraut waren, wenn sie denn existierten. Cortés seinerseits bewies bei anderen Gelegenheiten stets eine äußerst empfindliche mentale Antenne für Strömungen und Gerüchte, die er sich dienstbar machen konnte. So könnte es zu der oben zitierten Darstellung gekommen sein.

Wenn von Historikern mit den ´Götter-´Legenden um Quetzalcóatl argumentiert wird, wird zudem meist nicht hinreichend beachtet, daß man von dem Gott den sagenhaften toltekischen Priesterfürsten Quetzalcóatl Topiltzín, der sich nach dem Gott benannte, streng unterscheiden muß. Nur letzterer hätte die Legitimation der Herrschaft Moctezumas in Frage stellen können, doch es bestand kein Zweifel daran, daß er sterblich und tot war. Der Gott wiederum hatte eigentlich nichts mit Tollan, der Hauptstadt der Tolteken, zu tun, und es gibt überhaupt keinen Grund für die Annahme, daß sich Moctezuma vor ihm besonders gefürchtet haben sollte. Bedrohlicher wäre Tezcatlipoca für ihn gewesen. Tezcatlipoca verkörperte die Unbeständigkeit. Wenn das Obere zuunterst gekehrt und der Mächtige gestürzt wird, dann war dies gemäß der mesoamerikanischen Religion mit großer Wahrscheinlichkeit sein Werk. Er war Moyocoyatzin, ein launischer Schöpfer, und Nécoc Yáotl, die Bedrohung für alle Parteien. Seine Farbe war u.a. schwarz wie das Obsidian, das bei der Jagd Leben gab und beim Opfer Leben nahm. Er war ein Nigromant, der Nachthimmel, der Frost, der Krieg, der Hurrikan und überhaupt das Aggressive und Unheimliche, die ungebändigte Kraft. Tezcatlipoca war unter den Nahuas eine supranationale Hauptgottheit. Trotz der mexicanischen Selbstdefinition über Huitzilopochtli war es Tezcatlipoca, d.h. ´Der rauchende Spiegel´, von dem der tlatoani seine Herrschergewalt ableitete, von dem er gefördert oder vernichtet wurde. Das galt auch für Moctezuma. - Quetzalcóatl war ebenso einer der Hauptgötter im mexicanischen Pantheon, aber die mesoamerikanischen Götter waren nicht allmächtig. Ähnlich wie in der antiken europäischen Welt war jeder Krieg der Menschen auch ein Krieg der Götter, die ihnen jeweils beistanden. Die Mexica hatten Cholula unterworfen, in dem sich das zentrale Quetzalcóatl-Heiligtum befand, und Huitzilopochtli hatte sich hier als der Stärkere erwiesen. Moctezuma hatte seine Fähigkeiten als Feldherr und seine persönliche Tapferkeit mehrmals unter Beweis gestellt. Dazu kommt, daß jeder, der gegen Quetzalcóatl kämpfte, sich der Unterstützung seines traditionellen Widersachers Tezcatlipoca sicher sein konnte - und umgekehrt. Im übrigen liegen keine kunstgeschichtlichen Hinweise dafür vor, daß sich Moctezuma vor 1519 sonderlich für Quetzalcóatl interessiert hätte.

Daß Moctezuma sich also habe unterwerfen wollen, ist nahezu auszuschließen. Werner Stenzel hat ganz richtig bemerkt, daß er nicht plötzlich verblödet sein wird. Diese Behauptung dürfte in den Conquistadorenberichten lediglich dazu gedient haben, den folgenden Krieg als gegen wortbrüchige Untertanen des Kaisers und damit als gerecht darstellen zu können. Die reichen Gaben Moctezumas bedeuten ja keineswegs die Aushändigung des Staatsschatzes und somit die Anerkennung kastilischer Oberhoheit. Es ist die Gabe eines Fürsten, der sich durch verschwenderischen Materialwert, erstaunliche Kunstfertigkeit und ausgesuchte Symbolik selbst darstellt. Dieser Akt der fürstlichen Selbstverherrlichung durch Gaben ist universell und durch alle Zeiten zu beobachten. In den Gaben Moctezumas spielte Quetzalcóatl nur eine beiläufige Rolle, denn Cortés bekam auch noch andere Göttertrachten überreicht. Es ist gut denkbar, daß Moctezuma mit der Überreichung der verschiedenen Götter-Insignien und der Schmückung des Cortés Antworten auf die Identität der Conquistadoren zu erhalten hoffte. Daß diese keine angemessene Gegengabe für ihn hatten, schien ihm eher zu bedeuten, daß er ihnen an Macht und Zivilisation überlegen war. - Cortés schickte dem Moctezuma laut Díaz del Castillo flämische Hemden, blaue Edelsteine (oder Glasperlen?) und zudem ein vergoldetes florentinisches Kelchglas, auf dem zahlreiche Bäume und Jagdszenen dargestellt waren. Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan und Mexico aber, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auch auf Sahagún zurückgeht, zeigt sich verächtlich:

 

„Und dies sind die Begrüßungsgeschenke der Christen, mit denen sie Motecuzomatzin zu beschenken kamen:

1. Ein grüner Plunder (oder Dreck),
2. und zwei Mäntel, einer schwarz, einer rot,
3. und zwei Paar Stiefel,
4. ein Löffel,
5. ein Hut,
6. und eine Mütze,
7. und ein Tuch (Stück Zeug),
8. und ein Trinkglas,
9. und etwas (Glas-)perlen.“

 

Realhistorisch hat sich Cortés gewiß nicht mit „einem grünen Plunder“ lumpen lassen. Eine solche Gabe wäre eine Provokation gewesen und einer Kriegserklärung gleichgekommen. Wir werden gleich verstehen, wie die Behauptung der Geschichte der Königreiche zu deuten ist.

Kehren wir mit diesem für die Interpretation notwendigen Hintergrundwissen zum problematischen Náhuatltext Sahagúns zurück: Obwohl bisher nur von dem ´Fürsten´ Quetzalcóatl die Rede war, sei Cortés von vornherein als ´Gott´ Quetzalcóatl betrachtet worden, aber damit ist gleichwohl weniger der Gegenspieler Tezcatlipocas gemeint, als vielmehr der vergöttlichte Fürst Quetzalcóatl Topiltzín. Moctezuma trug seinen Boten auf: „Betet an unseren Herrn, den Gott,/ sagt ihm: Uns hat hierhergeschickt dein Vasall Motecuhçoma.“ Auf den ersten Blick scheint mit dem ´Gott´ Cortés alias Quetzalcóatl gemeint zu sein. Der franziskanische Subtext suggeriert jedoch, daß Moctezuma durch die Vorzeichen von der Ankunft des Christengottes wußte und dessen Überlegenheit einsah. Er erstarrte sozusagen in Gottesfurcht. Nun wird die Beleidigung verständlich, die die Geschichte der Königreiche durch die armselige Gegengabe behauptet. Auch sie ist ein Menetekel für den Heiden. In eitler Selbstverblendung habe Moctezuma wie einst Belsazar Gott durch seinen Prunk, seine Prahlerei und Tyrannei herausgefordert. Ausgerechnet aus dem Munde des Gottes Tezcatlipoca, des Gegenspielers von Quetzalcóatl, dem, wie gesagt, die unkontrollierbaren Gewalten und Schicksale der Herrscher zugeschrieben wurden, sprach bei Sahagún Gottes Wort:

 

„Ist er [also Moctezuma] erst jetzt zur Besinnung gekommen?/ ist ihm jetzt erst großer Schreck in die Glieder gefahren?/ Er hat gesündigt (er hat nun einmal einen Fehler gemacht),/ er hat das Volk fortbringen lassen,/ er hat die Menschen gemordet,/ er hat schuld, daß die Leute aufs Haupt geschlagen wurden,/ er hat schuld, daß die Leute ins Leichentuch gehüllt wurden,/ er hat mit den Leuten sein Spiel getrieben,/ er hat die Leute betrogen.“

 

Die über die indianischen Schüler Sahagúns und seine Informanten eingeflossene mexicanische Perspektive schob die Besessenheit Moctezumas von dem Wahn, Quetzalcóatl sei zurückgekehrt und man müsse sich ihm unterwerfen, als willkommene Dolchstoßlegende vor. Wie hätten die Mexica wohl einen Krieg gegen die Conquistadoren gewinnen können mit solch einem abergläubischen Versager als Herrscher? Eher Priester als Krieger habe er zum Grübeln geneigt und sich wie ein Feigling aufgeführt: „Und in der Zeit, wo dies (geschah),/ konnte (Motecuhçoma) keinen Schlaf mehr finden,/ konnte nicht mehr essen,/ man konnte nicht mehr mit ihm reden./ [...] Alle Augenblicke seufzte er,/ war ganz erschöpft, war niedergeschlagen./ [...] Denn er sagte:/ [...] ´Voller Todesangst ist mein Herz´“. Der franziskanische Subtext allerdings legt die Deutung nahe, daß Moctezuma von Gott sehend gemacht, seine Sünden sowie die Sinnlosigkeit erkannte, sich gegen das Kommen des christlichen Gottes aufzulehnen. Moctezuma war der „puto“ der mexicanischen Geschichtsversion, denn er war schuld an allem, ja sein vormaliges strenges Regiment wurde, wie gesagt, explizit als eine Schuld gedeutet. Aus franziskanischer Perspektive setzt der derbe Ausdruck die Mexica freilich wiederum ins Unrecht. Sie waren die Verblendeten, die nicht sahen, was Moctezuma längst wußte: Die Tage des Heidentums waren gezählt. Moctezuma, in dessen Person der Kampf von Gut (Gott, Engel) und Böse (Satan, Dämonen) stellvertretend tobte indem er angeblich laufend seine Entschlüsse in bezug auf die Conquistadoren änderte, soll gemäß Sahagún - ein Aufbäumen der teuflischen Mächte in ihm - zweimal Magier geschickt haben, um die Kastilier aufzuhalten. Diese jedoch waren völlig machtlos und meldeten ihrem Gebieter: „Wir sind kein Widerpart, wir sind wie nichts.“ Widerstand war zwecklos. Und Flucht ebenso. Die Conquistadoren höhnten laut Sahagún: „Denn dort Motecuhçoma/ wird sich nicht vor uns verbergen können [...]./ Wohin will er gehen?/ Ist er ein Vogel? will er fliegen?/ oder will er sich unter der Erde seinen Weg machen?/ will er irgendwo in einen hohlen Berg gehen?“ Genau dies jedoch erwog Moctezuma angeblich, „er wollte entfliehen,/ er wollte sich flüchten,/ er wollte sich verbergen,/ er wollte sich vor ihnen verbergen [...]./ Und er sann nach [... :] ´Soll ich in irgendeine Höhle gehen?´“ In der Offenbarung des Johannes lautet die entsprechende Passage vom vernichtenden Zorn Gottes: „Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen [...] verbargen sich in den Höhlen und Felsen der Berge. Und sie sagten zu den Bergen und Felsen: Fallt über uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes: Denn der große Tag ihres Zorns ist gekommen. Und wer wird da bestehen?“ Explizit vergleicht Sahagún die Mexica nun mit Judea und Jerusalem und deutet die Historia general damit geradezu selbst:

 

„Dieses ganze Werk wird sehr von Nutzen sein, um den Karat [soll heißen: die Qualität] dieses mexicanischen Volkes kennenzulernen, der noch nicht bekannt war. Denn es kam über sie jene Verdammung, die Jeremias von seiten Gottes über Judea und Jerusalem aussprach. Er sagt im fünften Kapitel: ´Ich werde machen, daß über euch komme und ich werde gegen euch senden ein Volk von sehr weit her, ein sehr widerstandsfähiges und starkes Volk, ein sehr altes Volk und geschickt im Kämpfen, ein Volk, dessen Sprache ihr nicht verstehen werdet und deren Sprechweise ihr nie zuvor gehört habt, alles Volk stark und mutig und überaus mordlüsternd. Dieses Volk wird euch und eure Frauen und Kinder und alles, was ihr besitzt, vernichten, und es wird alle eure Siedlungen und Häuser zerstören.´ Dies ist den Indianern buchstäblich mit den Spaniern widerfahren.“

 

Die Conquistadoren waren diese fremden Streiter Gottes. Furchtbarkeit und Gotteskrieger-Sein schloß sich hierbei nicht aus, sondern gehörte in diesem Kontext vielmehr zusammen, und gleiches gilt für all ihre Sündhaftigkeit wie beispielsweise ihre sündige Habgier: „Ist das alles, was euer Begrüßungsgeschenk ausmacht?“, soll - und das hat er ganz bestimmt nicht getan - Cortés die Gesandten Moctezumas nach Erhalt der prächtigen Empfangsgaben gefragt haben. Als die Conquistadoren zwischen Popocatépetl und Ixtaccihuatl weitere reiche Geschenke erhielten, „lachten sie (die Spanier) über das ganze Gesicht, freuten sich sehr,/ wie Affen griffen sie nach dem Golde,/ [...] suchen das Gold wie Schweine“. Die Conquistadoren waren aus dieser Perspektive keineswegs Ritter gemäß dem mittelalterlich-höfischen Ideal. Und doch kamen sie im Namen Gottes: Sie waren seine Geißel für die verstockten Heiden und kamen über sie wie die apokalyptischen Reiter:

 

„Und jedermann, alles Volk/ ist bestürzt,/ beinahe in Aufruhr (in hellen Flammen),/ wie wenn die Erde sich bewegt,/ wie wenn die Erde zittert,/ wie wenn alles vor den Augen sich im Kreise dreht;/ es herrschte allgemeine Furcht./ [...] Und einige bestehen ganz und gar aus Eisen,/ sind Eisenmänner geworden, glänzen./ Darum wurden sie mit großer Scheu angesehen,/ daher wurden sie sehr gefürchtet,/ daher wurden sie furchtsam betrachtet,/ daher waren sie starkes Entsetzen erregende Leute./ Und ihre Hunde laufen voran,/ laufen vor ihnen her,/ stehen vor ihnen, liegen vor ihnen;/ sie kommen keuchend,/ der Geifer hängt ihnen (aus dem Munde) herab.“

 

„Lauter Eisen ist ihre Kriegstracht,/ [...] und ihre Hirsche tragen sie auf dem Rücken,/ dachhoch sind sie dadurch (an Gestalt)./ Und überall ist ihr Körper eingehüllt,/ Nur ihr Gesicht ist sichtbar, ganz weiß,/ Kalkgesichter sind es [...],/ sie haben gelbe Bärte. [...] Und ihre Hunde, sehr groß,/ [...] mit feurigen, mit flammenden Augen,/ [...] wild, wie Unholde,/ immer keuchend,/ immer mit heraushängender Zunge“.

 

Mit dem tatsächlichen Erscheinungsbild der Conquistadoren hatte dies nur entfernt zu tun, insbesondere was die Betonung des Eisens angeht. Die meisten trugen Baumwollpanzer, volle Turnierrüstungen, die sie zu „Eisenmännern“ gemacht hätten, besaßen die Conquistadoren nicht. Vergleicht man dazu die Beschreibung eines apokalyptischen Reiters, dann wird die Angleichung deutlich: „Und siehe, ein fahles Pferd: Und der, der auf ihm saß, jenes Namen ist Tod; und die Unterwelt folgte ihm. Und ihm ist die Macht gegeben über ein Viertel der Erde [und] zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.“ Auch die Betonung des Hirsches als Reittier ist aufschlußreich. Daß die Conquistadoren eben nicht Hirsche ritten, ist den Mexica natürlich klar gewesen. Im obigen Zitat heißt es jedoch nicht, daß die Reittiere Hirschen ähnlich waren, sondern schlicht, daß es sich um Hirsche handelte. In der damaligen christlichen Symbolik aber bedeutete der Hirsch ´Glaube, Liebe und Hoffnung´. Der Subtext besagt somit, daß nach der Strafe Gottes für die Mexica eine gesegnete Zeit aufkommen wird. Doch zuvor kam das verdiente Strafgericht.

In der mexicanischen Darstellung konnte den Conquistadoren niemand widerstehen: „Wohl ist tapfer, ein großer Kriegshäuptling der Otomí,/ (der Spanier) achtete ihn für nichts, sah ihn für nichts an,/ in einem Augenblick,/ in einem Augenzwinkern/ vernichtete er (der Spanier) das Volk.“ So groß soll die allgemeine Furcht wegen der brutalen Stärke der Kastilier in Tenochtitlán gewesen sein, daß das öffentliche Leben zum Erliegen kam, „weil (die Spanier) sehr groß waren im Vernichten von Menschen“. Es herrschte wahrlich biblische Endzeitstimmung in Tenochtitlán: „Man weinte, man weinte heftig, man beweinte (seine Kinder),/ man ließ den Kopf hängen,/ man begrüßte sich mit Tränen“. „Und in dieser Zeit war es in Mexiko wie ausgestorben,/ niemand ging mehr aus dem Haus.“ Sie sagten sich: „Bald werden wir sterben,/ bald werden wir zugrunde gehn“.

Was den Verrat in Cholula betrifft, so seien, heißt es in der Historia, die verhaßten Tlaxkalteken die Verleumder gewesen, die die Tat verschuldeten. Die franziskanische Interpretation des Geschehens enthüllt sich, wenn man die cortesianische Darstellung der halbherzigen Begrüßung der Conquistadoren durch sozial unwürdige Gesandte bedenkt. In der spanischen Version Sahagúns heißt es, Cortés sei desinteressiert „weder kriegerisch noch friedlich“ empfangen worden. Die Ankunft des Christentums war von den Cholulteken, die sich in ihrer Verblendung auf ihren Götzen Quetzalcóatl verließen, gleichgültig oder sogar höhnisch aufgenommen worden, und das erforderte Strafe. Im Kontext der Apokalypse war die reiche Kaufmannsstadt Cholula dem biblischen Laodizea vergleichbar, zu dem Gott sprach:

 

„Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß: Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien. Du sagst: Ich bin reich und wohlhabend und nichts fehlt mir. Du weißt aber nicht, daß [gerade] du elend und erbärmlich bist und arm und blind und nackt. [...] Wen ich liebe, den weise ich zurecht und bestrafe ich. [...] Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und mir die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und ich werde mit ihm speisen und er mit mir.“

 

Cortés jedoch, dessen Berichte von jedem damaligen Chronisten als bekannt vorausgesetzt wurden, der über die Conquista schrieb, hatte bekanntlich geklagt, Cholula hätte ihn, der doch den christlichen Glauben brachte, provozierend schlecht versorgt. So kam es zum gerechten Blutbad.

Unmittelbar nach der Ankunft in Tenochtitlán sei Moctezuma, der mit dem prächtigen Empfang der Conquistadoren nach Ansicht der Franziskaner seine letzte Aufgabe erfüllt hatte, gefangengenommen, und das Gold des Herrschers aus verschiedenen Schatzhäusern geraubt worden. Der Katholische König und die christliche Kirche würden bessere Verwendung dafür haben.

Wie auch in den Annalen von Tlatelolco werden bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen den Anhängern des Moctezuma und denjenigen erwähnt, die ihn fallenlassen und kämpfen wollten. Auf heilsgeschichtlicher Ebene ist dies wiederum das Ringen des Christentums gegen das Heidentum. Auch das Massaker während des Toxcatl-Festes 1519 wird ausgiebig behandelt. Der Mord sei, so die Mexica, völlig unerwartet gekommen und auf brutalste Weise ausgeführt worden, was Sahagún in seiner spanischen Übersetzung wohlweislich deutlich kürzt. Auf der Ebene des franziskanischen Subtextes jedoch bedarf es keiner weiteren Rechtfertigung des Massakers als die ausführliche Schilderung, wie das Bildnis Huitzilopochtlis mit Blutfahne und allen sonstigen Insignien für das Fest hergerichtet wurde: Das mußte Gottes Unwillen erregen, der doch bereits mit den Conquistadoren Einzug in die Stadt gehalten hatte, und erforderte die Züchtigung der verstockten Teufelsanbeter. Die Conquistadoren waren wiederum nur ein Medium göttlichen Zorns. In der Offenbarung heißt es unmittelbar nach der Schilderung anderer apokalyptischer Reiter und ihrer zerstörerischen Kraft:

 

„Aber die übrigen Menschen, die nicht durch diese Plagen umgekommen sind, wandten sich nicht ab von den Machwerken ihrer Hände: so daß sie nicht [mehr] den Dämonen anbeten und nicht Götzen aus Gold und Silber und Erz und Stein und Holz, die weder sehen noch hören noch gehen können. Und sie ließen nicht ab von ihrem Morden und ihrer Zauberei, von ihrer Unzucht und von ihrem Stehlen.“

 

Für damalige Leser verstand sich die Parallele von selbst, sie mußte nicht explizit gezogen werden.

Daraufhin hätten die Mexica zu den Waffen gegriffen, wobei die Ankunft des Pánfilo de Narváez keine Rolle gespielt haben soll. Der Tod Moctezumas schließlich wird von mexicanischer Seite den Conquistadoren angelastet. „Im dreiundzwanzigsten Kapitel wird erzählt, wie Motecuhçoma und ein königlicher Prinz von Tlatelolco getötet wurden;/ und ihre Leiber warfen sie vor die Tür,/ vor die Tür des Hauses,/ in dem die Spanier waren.“ In Sahagúns spanischer Version heißt es vorsichtig-indifferent, die beiden Genannten seien „tot aus dem Haus geworfen“ worden. Wie sie gestorben waren, bleibt hier offen. Tatsächlich gibt es Conquistadorenberichte, die zugeben, daß Moctezuma von den Kastiliern ermordet wurde. Die in den meisten Quellen genannte und auf Cortés zurückgehende Version, daß Moctezuma durch einen von seinen eigenen Untertanen geschleuderten Stein starb, dürfte ebenfalls auf Flavius Josephus zurückgehen. Auch Josephus war ja von Gott sehend gemacht und versuchte seine Landsleute an der Stadtmauer Jerusalems von der Sinnlosigkeit und Verwerflichkeit ihres Widerstands zu überzeugen. Bei dieser Gelegenheit wurde er mit Steinen beworfen, den Steinen der Verstockten – und zu Boden gestreckt. Tatsächlich also schleuderten die Zeloten, die „malos y perversos“ des Diskurses um das störrische Jerusalem den Stein, der angeblich Moctezuma traf.

Bei der Behandlung von dessen wenig feierlicher Feuerbestattung beschreibt der Náhuatl-Text aus Sicht der Mexica wiederum das durch die Ereignisse und das Verhalten Moctezumas bedingte gebrochene Verhältnis zu ihrem letzten bedeutenden Herrscher:

 

„Und der Leib Motecuhçomas riecht nach verbranntem Fleisch/ und stinkt beim Verbrennen./ Und während (der Leichnam) brannte,/ aus Zorn, nicht mehr aus sehr freundlichem Herzen,/ tadelt ihn mancher und spricht:/ ´Dieser Schuft, der ganzen Welt hat er Furcht eingeflößt,/ in der ganzen Welt wurde er gefürchtet [...]./ Dieser Mann hier, wenn ihn einer nur mit der kleinsten Sache beleidigte,/ so beseitigte (tötete) er ihn sogleich,/ vieles davon war erlogen, wofür er die Leute büßen ließ,/ war falsch, war erfundenes Gerede.´/ Und viele andere, die ihn tadelten,/ murmelten nur zwischen den Zähnen,/ brummten nur,/ schüttelten die Köpfe.“

 

Leider läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob dieses „erfundene Gerede“ konkret auf den Mythos vom wiederkehrenden Quetzalcóatl anspielt. Andererseits wird deutlich, daß viele Mexica sich noch immer nicht bekehren wollten und Moctezumas Handeln nicht verstanden und guthießen. Dem Statthalter Tlatelolcos indes, der zusammen mit Moctezuma ermordet worden war, seien alle Totenehren zuteil geworden: „Niemand war da, der ihn hätte schelten,/ niemand, der ihn hätte mißachten mögen“. Das bewies aus der franziskanischen Perspektive lediglich die noch immer vorherrschende Unbelehrbarkeit. Moctezuma war zwar ein Sünder, doch er hatte Gottes Stimme vernommen, und ihm als einziger die Tür geöffnet. Obwohl er ungetauft verstarb, gab es aus christlicher Sicht Grund zur Hoffnung, daß Gott sich seiner erbarmen würde.

Das rebellische Tenochtitlán wird daher zu Recht vernichtet. Im Hinblick auf die Identifizierung der Lagunenstadt mit Jerusalem wird Cortés dafür entlastet. Titus habe laut Josephus die Stadt und insbesondere den Tempel nicht zerstören wollen, aber der berüchtigte unbekannte Soldat mit der Fackel, der so viele Kulturgüter der Menschheit auf dem Gewissen hat, war zur Stelle. Durch die christliche Brille war es Gottes Wille. Und so verhielt es sich auch mit der Vernichtung Tenochtitláns durch Cortés, der in seinen Berichten ebenfalls beteuerte, er habe die Stadt nicht zerstören wollen, sei aber schließlich durch die Umstände dazu gezwungen worden.

Für die Heiden fällt die Zukunftsprognose - aus dem Munde des fliehenden Tezcatlipocas - denkbar düster aus: „Wozu steht ihr hier unnützerweise?/ Es wird niemals mehr ein Mexiko geben,/ es ist ein für allemal aus.“ Aber für die Franziskaner und ihre mexicanischen Schüler gibt es Hoffnung, denn aus dem sündhaften Babylon würde das neue Jerusalem entstehen. In der Offenbarung heißt es: „Und er, der auf dem Thron saß, sprach: Sehet, ich mache alles neu. [...] Wer siegen wird, wird dies besitzen: Ich werde sein Gott sein, und er selbst wird mein Sohn sein. Aber die [...] Unzüchtigen und die Zauberer und Götzendiener und alle Lügner - ihr Los wird der See von brennendem Feuer und Schwefel sein, was der zweite Tod ist.“

 

Bei dem Geist, der seit der Thronbesteigung Philipps II. in bezug auf die Hispanisierung und Evangelisierung von Las Indias herrschte, hatte Sahagúns Werk keine Chance, veröffentlicht zu werden. Daß es überhaupt überlebte, ist nur der Zähigkeit des damals 84jährigen Franziskaners zu danken, der sich 1583-85 nach der Konfiskation der Manuscripte dazu aufraffte, die Historia general noch einmal zu schreiben. Ähnlich wie beim Colegio-de-Santa-Cruz-Projekt, dem Versuch eine indianische Oberschule zu etablieren, ist bei diesem Projekt einer scheinbar indianischen Geschichtsversion zu beobachten, daß die Gegner in dem Maße zunahmen, wie es bedeutsam zu werden versprach. Es liegt auf der Hand, daß keine der spanischen Gruppen von politischem und sozialem Einfluß Sahagúns Werk begrüßte, da es ihren gemeinsamen Zielen scheinbar zuwiderlief, die Eroberung als rechtmäßig darzustellen und Indianer möglichst von einflußreichen Positionen auszuschließen. Auch die kirchlichen Gruppen und Vertreter reagierten skeptisch. Zwar interessierten sie sich zum Teil für die ´ethnologischen´ Erkenntnisse Sahagúns, doch zogen sie es vor, sich dieser Informationen als ein Geheimwissen zu bedienen, das ihrer Ansicht nach veröffentlicht großen Schaden anrichten würde. Der Text, besonders des XII. Buches, war eben nicht rein franziskanisch und konnte auf verschiedene Weise interpretiert werden. Als einer der entschiedensten Widersacher Sahagúns in dieser Sache entpuppte sich 1564-66 sein berühmter Mitbruder Toribio de Benavente. Er war mit der Nahuakultur ebenfalls sehr gut vertraut und konnte also die von Sahagún beschrittene Gratwanderung abschätzen. Er wetterte, daß die Historia general nichts als Lügen, Falschheiten und Erfindungen enthalte. Über Dinge der Idolatrie solle man besser schweigen.