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Die Eroberung Mexikos hat seit den bald 500 Jahren,
die uns von ihr heute trennen, kaum etwas von ihrer Faszination eingebüßt. Die
Gründe dafür sind vielfältig: Sie fand am Schnittpunkt zweier Welten und Epochen
statt, sie ist aus mehreren Perspektiven überliefert und gehört vielleicht zu
den facettenreichsten Episoden der Geschichte. Die Frage, die seit dem Ende der
Conquista immer wieder gestellt wurde, ist: Wie konnten die ungefähr 2000
Spanier unter Hernán Cortés das ganze Gebiet des späteren Neuspanien mit einer
Bevölkerung von bis zu 25 Millionen Einwohnern unterwerfen?
Eine Antwort auf die genannte Frage lautet, die Spanier seien von den Bewohnern
Mexikos oder zumindest von Moctezuma für Götter gehalten worden. Starr vor
Schreck und Ehrfurcht habe man mit der Abwehr der Conquistadoren so lange
gewartet, bis es zu spät gewesen sei. Die Herkunft dieser Legende lässt sich wie
in solchen Fällen üblich nicht mehr eindeutig feststellen. Cortés war derjenige,
der quellentechnisch ihre Grundlage schuf, indem den cartas de relación zufolge
Moctezuma folgende Ansprache an ihn gehalten haben soll:
"Viele Tage ist es her, dass wir durch unsere Schriften von unseren Vorfahren
Nachricht haben, dass weder ich noch alle, die wir in diesem Land leben,
Eingeborene desselben sind, sondern Fremde und zu ihm aus sehr fremden
Landesteilen gekommen sind. Und wir haben außerdem [Nachricht], dass ein Fürst
unser Geschlecht in diese Landesteile brachte, dessen Untertanen [wir] alle
waren und der zu seinem Ursprungsort zurückkehrte. Und später kam er zurück nach
langer Zeit, und zwar nach so langer, dass diejenigen, die geblieben waren,
bereits mit den eingeborenen Frauen dieses Landes verheiratet waren, und sie
hatten viele Nachkommen und Ortschaften gebaut, wo sie lebten. - Und als er sie
mit sich nehmen wollte, da wollten sie weder gehen noch ihn als Herrn
anerkennen, und so kehrte er um. - Und wir haben immer angenommen, dass
diejenigen, die von ihm abstammen, kommen müssten, um dieses Land und uns als
seine Vasallen zu unterwerfen. Und gemäß der Richtung, die ihr sagt, dass ihr da
herkommt, die da ist, wo die Sonne aufgeht, und [gemäß] den Dingen, die ihr von
diesem großen Herrn oder König [also Karl V.] erzählt, der euch hierher
schickte, glauben wir und halten es für sicher, dass dieser unser natürlicher
Herr ist, besonders weil ihr uns sagt, das er seit vielen Tagen Nachricht von
uns hat."
Vieles spricht dafür, dass die Franziskaner einige Jahrzehnte später kräftig an
der Legende vom wiederkehrenden Fürsten mitkonstruiert haben. Es muss bedacht
werden, dass die schlechten Vorzeichen, die Moctezuma vor der Conquista gesehen
haben soll, literarische Fiktion sind. Sowohl im Jüdischen Krieg des Flavius
Josephus als auch bei anderen antiken Autoren werden vergleichbare Vorzeichen
genannt. Sie symbolisieren dort den Zorn des christlichen Gottes über die
sündigen Heiden. Moctezuma ist gemäß dieser Darstellung nichts anderes als ein
Medium des zürnenden Gottes, der ihm gleich Nebudkadnezar den Untergang seiner
Herrschaft kundtut. Die Conquistadoren mit all den ihnen im Buch XII der
Historia general des Fray Bernardino de Sahagún zugeschriebenen Schreckenstaten
und ihrem finsteren Erscheinen als eiserne, kalkgesichtige Reiter
unwiderstehlicher Vernichtungskraft, denen geifernde Hunde vorauslaufen,
erscheinen vor diesem Hintergrund als apokalyptische Reiter, als Geißel Gottes.
Sie sind grausam, blutgierig, unwiderstehlich, mitleidlos, aber gerade deshalb
Krieger Gottes. Auf den Trümmern des gestraften Heidentums sollte nach Zeiten
der blutigen Buße das um so reinere Christentum erwachsen. In ihrer
polytheistischen Verblendung jedoch sollten die Heiden die Christenkrieger für
Götter gehalten haben, und dies habe um so mehr ihren verdienten Untergang
besiegelt. - Soviel zur Geschichtsschreibung.
Was aber dachten die Totonaken und Nahuas wirklich über die Conquistadoren? Was
hatte es mit der angeblichen Legende vom wiederkehrenden Fürsten auf sich? Was
hatte der Gott Quetzalcóatl mit Hernán Cortés zu tun? Welchen Einfluss hatten
bestimmte Prophezeiungen aufgrund des zyklisch aufgebauten Wahrsagekalenders auf
die Einstellungen und Handlungen der Bewohner Mexikos angesichts der
Conquistadoren?
Möglicherweise wusste Moctezuma über die Spanier zunächst mehr als diese über
ihn. Thor Heyerdahl und nach ihm viele andere haben bewiesen, dass es
theoretisch bereits im Altertum möglich war, den Atlantik von der Alten in die
Neue Welt zu überqueren. - Aber zurück? Es ist ungewiss, was es mit dem
mysteriösen portugiesischen Piloten auf sich hat, der vor Colón in der Karibik
gekreuzt sein soll. Auch gibt es Gründe zur Vermutung, dass Vicente Yáñez Pinzón
und Juan Díaz de Solis bereits 1508-09 vor San Juan de Ulúa beim heutigen
Veracruz auftauchten. Dies wäre neun Jahre vor der Expedition unter Juan de
Grjalva gewesen, der man gemeinhin den ersten Kontakt mit den Mexica zuschreibt.
Da die fraglichen mesoamerikanischen Codices im Zuge der Evangelisierung des
Landes zum allergrößten Teil verbrannt wurden, lässt sich nicht mehr eruieren,
was diese von potentiellen vormaligen Kontakten der Bewohner Mexikos mit
Europäern berichteten. Fray Toribio Benavente alias Motolinía erwähnt folgende
Begebenheit: "Während dieser Zeit [d.h. bevor Grijalva landete] brachten sie
Moteczumatzin eine Kiste mit spanischen Kleidern, die von irgendeinem Schiff
gewesen sein musste, das im Mar del Norte [bei einem Unwetter so stark] krängte
[, dass es Ladung verlor], in der sie ein Schwert, gewisse Fingerringe, andere
Schmucksachen und Kleidungsstücke fanden. Und Moteczuma gab einige
Schmuckgegenstände an die Fürsten von Tezcuco und Tlacuba. Und damit sie sich
nicht beunruhigten, sagte er ihnen, dass seine Vorfahren sie geheim gehalten und
gut gehütet hätten und dass sie sie in großer Achtung hielten."
Die pochtecas genannten Fernkaufleute der Mexica vermochten durchaus die
Distanzen von Tenochtitlán nach Yucatán und nach Guatemala zu überwinden, doch
was sie in Erfahrung brachten, bleibt Spekulation. Vor einer derart dünnen
Quellenlage ist es angebracht, davon auszugehen, dass Grijalva und Cortés die
ersten Europäer waren, von denen Moctezuma erfuhr. Die überlieferten Quellen
suggerieren zumindest, dass Moctezuma keine Ahnung von Schiffbrüchigen
Kastiliern in Yucatán und wenn überhaupt nur wenige Informationen über die
Vorgänge im Darién und in der Karibik hatte.
Mit Vorsicht zu genießen sind die den Mexica meist unterstellten
Interpretationsschemata, mit denen sie versucht haben sollen, das Phänomen
"Kastilier" zu deuten. Der hinreichend bekannte mesoamerikanische Kalender
enthielt auch eine zyklische Zeitvorstellung. Die Vorstellung, dass die Zeit
nach jedem 52-Jahre-Zyklus wieder von vorn beginne, war nach Ablauf eines jeden
Zyklus "mit fundamentaler Existenzangst verbunden" und legte es, wird oft
argumentiert, den Nahuas nahe, da man im linearen Sinne weder von "Zukunft" noch
von "Vergangenheit" habe sprechen können, bestimmte Abschnitte des Kalenders
religiös-mythologischen Deutungsmustern zu unterwerfen, so dass sich also eben
dieses Zeitverständnis auf dominante Weise durch Ritual und Prophetie
ausgedrückt habe.
Eingehend beschrieben und mit zahlreichen Beispielen veranschaulicht findet sich
der prophetische Kalender der Mexica im vierten Buch der Historia general des
Sahagún. Sahagún berichtet auch, dass die Mexica ein jedes Individuum gemäß dem
Zeichen, unter dem es geboren wurde, einschätzten - und weniger nach seiner
Herkunft oder seinen Fähigkeiten. Als Veranschaulichung mag das kalendarische
Zeichen Ume Tochtli dienen: In diesem Zeichen Geborene wurden von Anfang an als
Säufer angesehen, und sie bekamen keine Chance im Leben. Dies dürfte nicht
selten zu einer Sich-selbst-erfüllenden-Prophezeihung geführt haben, was die
magische Kraft des negativen Kalenderzeichens zu bestätigen schien. Allerdings
waren viele Tageszeichen ambivalent.
Am radikalsten vertrat Tzvetan Todorov die Bedeutung dieses Kalendersystems für
die Sicht der Nahuas auf die Conquistadoren: "Das Individuum gestaltet seine
Zukunft nicht, sondern diese offenbart sich ihm [...]. Die charakteristische
Frage dieser Welt ist nicht [...] praxeologischer Art: Was tun?, sondern
epistomologisch: Wie erfahren?"
Vor diesem Hintergrund wird dann angenommen, dass Moctezuma, der in seiner
Jugend eine strenge religiöse Erziehung erfahren hatte und sich eher als
Priester denn als Krieger verstanden haben soll, mit dem Phänomen "Kastilier"
konfrontiert Antworten zunächst in prophetischen Büchern suchte, davon
ausgehend, dass kein Ereignis singulär oder zufällig sein kann, sondern in
anderer Form bereits an gleicher Stelle des Zyklus´geschehen bzw. angekündigt
sein muss. Die fraglichen Bücher sind leider sämtlich verloren.
Alle diese Theorien basieren letztlich auf der Legende vom wiederkehrenden
Fürsten Quetzalcóatl, dessen Rückkehr in diesen prophetischen Büchern
angekündigt worden sein soll. - In bezug auf zyklisches Zeitverständnis ist zu
berücksichtigen, dass dies immer nur ein Aspekt der Zeitphilosophie sein kann,
um sie nicht ad absurdum zu führen. Auch bei uns kehren die Jahreszeiten immer
wieder, und die Zeit messen wir mit einem Kreisrunden Instrument, und dennoch
ist die Zeit immer auch bzw. vor allem linear. Selbst wenn das zyklische Element
in Mesoamerika stärker betont wurde, ist es doch auszuschließen, dass die Mexica
keinen Begriff von singulären Ereignissen in der Geschichte hatten. Auch die
Maya, die einen ähnlichen Kalender verwendeten, kannten eine lineare "lange
Zählung" der Zeit.
Moctezuma war ein stolzer, selbstbewusster Herrscher im bedeutendsten Teil der
den Nahuas bekannten Welt. In Anbetracht der wenigen historischen Fakten, die
sich nicht als spätere Geschichtsfälschungen entlarven lassen, spricht wenig
dafür, dass Moctezuma durch die Ankunft der Kastilier ernsthaft beunruhigt war.
Er fühlte sich im Gegenteil mächtig genug, eine abwartende Haltung und eine
seinen Reichtum unter Beweis stellende Freigiebigkeit leisten zu können.
Wie verhielt es sich mit den in den Quellen immer wieder genannten "Teules"? -
Wenn beispielsweise Díaz del Castillo davon schreibt, dass die Nahuas die
Conquistadoren teules genannt hätten, scheint er unter diesem Begriff in etwa
´Halbgötter´ zu verstehen. Die Schwarzen unter ihnen, fügt Sahagún hinzu, seien
als "wirklich schmutzige" Götter angesehen worden. - Wie haben die Mexica die
Kastilier bezeichnet? Sagten sie téotl oder téutl (Gott), oder redeten sie die
Fremden mit teuctli oder tecuhtli (Herr) an? Ich behaupte: Sie sagten "Gott" und
meinten "Herr".
Moctezuma ließ die Ankömmlinge prächtig empfangen, als sie noch in der Bucht von
San Juan de Ulúa ankerten. Es handelte sich neben dem Empfang der Conquistadoren
in Tenochtitlán zweifellos um eine der denkwürdigsten kulturellen Begegnungen
der Weltgeschichte. Laut Sahagúns Bericht wurden Cortés die Trachten und
Attribute der mexicanischen Götter Quetzalcóatl (auch als Ehecatl und als Tlaloc)
und Tezcatlipoca dargeboten. Wenn Sahagúns Ausführungen, die die geschichtlichen
Ereignisse meist sehr verzerrt widergeben, zutreffen, müssten die genannten
Gegenstände zwischen den Gaben befinden, die Cortés zusammen mit seinem ersten
Bericht an Karl V. schickte. Und tatsächlich: Ein Vergleich der entsprechenden
Sahagún-Passage mit der Inventarliste der betreffenden Schatzsendung des Cortés
ergibt klare Übereinstimmungen.
Doch die weitverbreitete These, dass die Gaben Moctezumas bedeuteten, dass die
Conquistadoren vom huey tlatoani (Großer Sprecher) für die Götter gehalten
wurden, deren Trachten er ihnen übergeben ließ, muss zurückgewiesen werden.
Bereits Oviedo, der Quetzalcóatl gar nicht erwähnt, glaubt nicht, dass die
Conquistadoren wirklich als Götter angesehen wurden, da doch jede einzelne
Mexiko-Expedition (unter Córdoba, Grijalva und Cortés) angegriffen worden sei.
Oft ist auch darauf hingewiesen worden, dass eine Legende von der Wiederkehr des
Quetzalcóatl oder von jemand anderem aus präcortesianischen Quellen nicht
ersichtlich ist. (Dieses Argument muss allerdings drei Einschränkungen erfahren:
1. Es ist leider nur ein Bruchteil der schriftlichen präkolumbianischen
mesoamerikanischen Quellen überliefert. 2. Die mexicanische Kultur befand sich
in einem Stadium zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Von etwaigen rein
mündlich tradierte Mythen hat man heute keine Kenntnis mehr. 3. Möglicherweise
gab es eine mündliche Mythos-Variante der macehualtín, die von einer Wiederkehr
des Quetzalcóatl berichtete und die Moctezuma, da sie seinen
Legitimitätsanspruch gefährdete, unterdrückte. Cortés könnte durch seine
Dolmetscherin Marina von dieser Variante Kenntnis erhalten haben.)
Wie aber hat man dann die Schmückung der kastilischen Hauptleute mit den
überreichten Masken, Mänteln und Insignien zu interpretieren? - Joseph Campbell
schreibt in "Die Masken Gottes", seinem berühmten Werk zum Kultur- und
Religionsvergleich: Die Maske wird "verehrt und erlebt als eine vollgültige
Erscheinung des mythischen Wesens, das sie darstellt, obwohl jedermann weiß,
dass ein Mensch die Maske gemacht hat und dass ein Mensch sie trägt. Ihr Träger
wird ferner während der Zeit des Rituals, dessen Bestandteil die Maske ist, mit
dem Gott identifiziert. Er stellt den Gott nicht bloß dar, er ist der Gott."1
Nimmt man an, dass diese sehr allgemeine und nicht speziell auf die Nahuas
gemünzte These Campbells zutrifft, dann stellt sich die entscheidende Frage: Was
war für die Nahuas ein Gott?
Eine Antwort hierauf muss unbedingt Richard Townsends Hinweis berücksichtigen:
"Ein fundamentales Konzept aztekischen religiösen Denkens wurde durch die
Welt-[Wort-]Wurzel teo, oft mit dem Suffix -tl als teotl geschrieben,
ausgedrückt. Schwer übersetzbar wurde das Wort von den Spaniern als ´Gott´,
´Heiliger´ oder mitunter als ´Dämon´ wiedergegeben. Studien zum Wort teo zeigen,
daß es in Nahuatl-Texten in einer Vielzahl von Kontexten vorkommt. Manchmal
begleitet es die Namen von Naturgottheiten, aber es wurde ebenso in Verbindung
mit menschlichen Personifikationen dieser Gottheiten sowie in Verbindung mit
deren heiligen Masken und dazugehörigen Zeremonialobjekten [...] benutzt. [...]
Das Wort teo wurde wohl ebenso gebraucht, um beinahe alles Mysteriöse, Mächtige
oder Metaphysische zu bezeichnen."
Es ist unmöglich, die teules aus der Conquista-Geschichte wegzuinterpretieren,
aber es ist unbedingt nötig, die Übersetzung "Götter" zu relativieren. Sie
gehören immer in Anführungszeichen im Sinne Townsends.
Die Conquistadoren waren Fremde,
die im Verhältnis zu ihrer Zahl aus Sicht der Nahuas erstaunlich mächtig,
selbstbewusst und unvermittelt ohne Vorzeichen (!) auftraten. Ihr seltsames
Aussehen und ihre mysteriösen Kräfte in Form von Spezialkenntnissen wie Nautik,
Schiffbau, Reiten und Waffentechnik reichte aus, die Fremden vorläufig als
´Götter´ zu bezeichnen. ´Götter´ wurden also diejenigen genannt, deren Identität
noch nicht feststand.
Die Gaben Moctezumas an die Conquistadoren bedeuteten nach dieser religiösen
Relativierung schlicht: "Seht her. Ich bin der reichste und mächtigste Fürst
weit und breit. Ich wusste, dass ihr kommen werdet, und habe Gaben für Euch
bereitstellen lassen. Aus dem symbolischen Gehalt der Gaben könnt ihr auch ohne
Nahuatl-Kenntnisse Rückschlüsse auf Kultur und Religion meines
Herrschaftsgebietes schließen." Sie bedeuteten aber auch: "Fahrt wieder dorthin,
von woher ihr gekommen seid, und zeigt meine Gaben vor, damit mein Ruhm auch
dorthin gelangt. Ihr habt nun mehr als ihr verlangen könnt und erseht aus dem
Reichtum auch, dass mir ausreichend Machtmittel zur Verfügung stehen, Euch zu
vernichten, wenn ich dies wollte."
Sie bedeuteten nicht: "Ich glaube, Du bist Quetzalcóatl. Nimm mein Gold als
Huldigung und Zeichen meiner Unterwerfung." Denn wenn in diesem Zusammenhang mit
der Legende vom wiederkehrenden Quetzalcóatl argumentiert wird, wird folgendes
meist nicht hinreichend beachtet: Spricht man von Quetzalcóatl, so muss man, wie
Werner Stenzel bereits 1980, vom Gott den sagenhaften toltekischen
Priesterfürsten Quetzalcóatl Topiltzin unterscheiden, der sich nach dem Gott
benannte. Nur letzterer hätte vielleicht die Legitimation der Herrschaft
Moctezumas II. in Frage stellen können, weil sich diese als Nachfolge der
Toltekenherrschaft definierte. Doch es bestand kein Zweifel daran, dass
Quetzalcóatl-Topiltzín sterblich und tot war. Der Gott wiederum hatte speziell
mit den Tolteken gar nichts zu tun, und es gibt überhaupt keinen Grund für die
Annahme, dass sich Moctezuma vor ihm besonders gefürchtet haben sollte. Zwar war
Quetzalcóatl einer der Hauptgötter im mexicanischen Pantheon, aber die
mesoamerikanischen Götter waren nicht allmächtig.
Ähnlich wie in der antiken europäischen Welt war jeder Krieg der Menschen auch
ein Krieg der Götter, die ihnen jeweils beistanden. Die Mexica hatten Cholula
unterworfen, in dem sich das zentrale Quetzalcóatl-Heiligtum befand, und
Huitzilopochtli hatte sich hier als der Stärkere erwiesen. Moctezuma hatte seine
Fähigkeiten als Feldherr und seine persönliche Tapferkeit mehrmals unter Beweis
gestellt. Dazu kommt, dass jeder, der gegen Quetzalcóatl kämpfte, sich der
Unterstützung seines traditionellen Widersachers Tezcatlipoca sicher sein konnte
- und umgekehrt.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme, dass von Moctezuma jemand
wiedererwartet wurde, unverständlich und unsinnig. Ich wiederhole: Wenn die
Spanier mit Götternamen bedacht wurden, dann nur mangels anderer Namen für
jemand Fremden, dem man eine besondere Beachtung schenkte. Dies kann man
deutlich im Falle Pedro de Alvarados beobachten, der schon bald Tonatiuh genannt
wurde, der als das Strahlen der Sonne, genauer gesagt als ´Der, der den Tag
macht´, und als eine Erscheinungsform des Huitzilopochtli aufgefasst werden
kann. Niemand wird hier ernsthaft behaupten, dass dies mehr als ein Spitz- oder
Ehrenname war, den er aufgrund seiner blonden Haare und seines (wenn er wollte:)
sonnigen Wesens erhalten hatte.
Die Versuchung, die Conquistadoren als ´Götter´ zu bezeichnen, speiste sich
zudem daraus, dass die Nahuas die Conquistadoren als primordial andere Gruppe
definierten. Das heißt mit den Worten Bernhard Giesens: Die Anderen "sind
einfach und unveränderbar anders, und dieses Anderssein bedeutet Gefahr. Fremde
und Außenstehende werden aus primordialer Perspektive häufig als dämonisch
betrachtet, als mit einer starken und feindlichen Identität versehen, welche die
Existenz der primordialen Gemeinschaft bedroht." Das gleiche Phänomen beobachtet
man bei den Conquistadoren, die die Indianer ja ebenfalls dämonisierten. Dies
allerdings weniger wohlwollend.
Nimmt man diese Überlegungen zusammen, darf man nur vorsichtig feststellen, dass
die Identifizierung der Conquistadoren als Götter, Halbgötter oder Abgesandte
von Göttern von den Mexica niemals ernsthaft in Betracht gezogen wurde, sie
jedoch stets gerüchtehalber bei Feinden unheimlich oder bei Freunden scherzhaft
bestand. Der tlaxcaltekische Chronist Muñoz Camargo bestätigt dies explizit:
´Die Götter´ - "so wurden sie allgemein im ganzen Land genannt, ohne dass man
ihnen einen anderen Namen geben konnte." Kurz: Was immer die Nahuas anfangs über
die Conquistadoren dachten, es bürgerte sich bald ein, sie teules oder ´Götter´
zu nennen.
Verfolgen wir dies weiter. Cortés konnte die reichen Gaben Moctezumas nicht
angemessen erwidern. Er wollte dies auch gar nicht, denn seine Ladung bestand
aus Waffen und beutehungrigen Abenteurern. Als er merkte, dass man ihn für etwas
Besonderes hielt, versuchte er aus taktischen Gründen ganz bewusst, diesen
Eindruck ins Übernatürliche zu steigern. Bereits in Tabasco hatte er viel
Phantasie bewiesen, die dortigen indianischen Herren mit Pferden und Geschützen
und einer erfundenen Geschichte zu beeindrucken, die aus Kanonen angriffslustige
Wesen machte und die Witterung eines hitzigen Hengstes auf eine den Zuschauern
verborgene Stute ausnutzte. Es ging ihm nicht darum, Wahrheit zu vermitteln,
sondern Wirkung zu erzielen, d.h. konkret: einzuschüchtern und zu verwirren.
Dabei benutzte Cortés von Anfang an auch Elemente, die die autochthone
Bevölkerung ins Spiel brachten, wie beispielsweise die Vorstellung, Pferd und
Reiter seien ein einziges Wesen oder würden Menschen fressen. Diese letzte
Vorstellung rührte von der indianischen Interpretation des Zaumzeugs als eine
Art Maulkorb. Wenn ein Pferd durch die Trense im Maul verletzt wurde und
blutete, glaubten Ängstliche, es habe gerade einen Sklaven oder Feind
verschlungen. Da Menschen im allgemeinen vor allem aber das für wahr halten, was
sie selbst erkannt zu haben meinen, und jegliche Erkenntnis von vertrautem
Wissen auszugehen pflegt, musste diese Strategie der Lenkung von
beobachterrelativer Wahrnehmung ganz besonders verwirrend gewirkt haben.
Die indianischen Verbündeten schürten diese Gerüchte im weiteren Verlauf der
Conquista absichtlich gegenüber den Gegnern. Díaz del Castillo berichtet z.B.:
"Wir hatten einen Hund mit sehr großem Körper bei uns, der Francisco de Lugo
gehörte und der die ganze Nacht bellte. Es scheint, dass jene Kaiziken des
Dorfes unsere Freunde fragten, die wir aus Zempoala mitgenommen hatten, ob dies
ein Tiger oder Löwe sei oder ein Tier, mit dem Indianer getötet würden. Und
diese antworteten: ´Sie haben es bei sich, damit es jene töte, die sie
provozieren.´ Auch befragten sie sie über die Bombarden, die wir bei uns hatten
und was wir damit machten. Und sie antworteten, dass wir mit Steinen, die wir in
diese hineintäten, jeden töten könnten, den wir wollen und dass die Pferde wie
Hirsche liefen, und dass wir damit jeden erreichten, den wir ihnen [also den
Pferden] nannten."
Gegenüber den Gesandten Moctezumas aber erklärte Cortés, dass die Conquistadoren
Christen und Untertanen des größten Monarchen der Welt seien: "Auf seinen Befehl
seien wir in dieses Land gekommen, da seine Majestät dessen Namen und Herren
schon viele Jahre kenne. Er wünsche, den Herren [also Moctezuma] als Freund zu
gewinnen. Er [Cortés] habe ihm im Namen des Kaisers manches zu eröffnen, was ihm
sicher Freude machen werde. Man möge ihm deshalb den Aufenthaltsort ihres
Herrschers angeben, damit er ihm seine Aufwartung machen, mit ihm und seinen
Indianern Handel treiben und alle Maßnahmen für eine freundschaftliche
Zusammenarbeit mit ihm verabreden könne", so Díaz del Castillo. Natürlich
entsprach es weder der Wahrheit, dass Cortés im Auftrag seines Königs handelte,
noch dass dieser irgendetwas von Moctezuma wusste oder wollte, aber letztere
Behauptung sollte wesentlich dazu beitragen, Moctezuma zu verunsichern. Und
erstere verschaffte Cortés, und das war einer seiner klügsten Schachzüge, eine
Art Diplomatenstatus, von dem er annehmen durfte, dass er auf der ganzen Welt
mit einer gewissen Unantastbarkeit und Freizügigkeit verbunden war. Dazu kommt,
dass Cortés Karl V. und sich selbst mit einer Aura magischen Wissens über
Moctezuma umgab.
Dann jedoch wollte er noch stärker beeindrucken. "Er liess die Bombarden scharf
und mit einem reichlichen Maß Pulver laden, damit sie beim Abfeuern einen lauten
Donner machten und befahl Pedro de Alvarado und allen Reitern aufzusitzen, damit
die Gesandten des Moctezuma sie galoppieren sähen", schreibt Díaz del Castillo,
und Sahagún schildert übertreibend aber anschaulich die Wirkung: "Darauf befahl
der Kapitän, sie zu binden,/ ihnen Eisen an die Füße zu legen und an den Hals./
Und danach schossen sie das grobe Geschütz los./ Und die Gesandten, als (sie das
hörten), wurden herzschwach und ohnmächtig,/ fielen auf den Boden, schwankten
hin und her,/ waren ihrer Sinne nicht mehr mächtig,/ und die Spanier hoben sie
vom Boden auf, hoben sie auf und gaben ihnen Sitze,/ gaben ihnen Wein zu
trinken,/ danach gaben sie ihnen zu essen;/ so schöpften sie wieder Atem."
Cortés, der mit Hilfe der Marina und durch seine Rollenspiele erfolgreich die
Wahrnehmung von Moctezumas Gesandten in seinem Sinne zu lenken vermochte, begann
bereits früh, einen gewissen Spaß daran zu finden. Díaz del Castillo berichtet,
Cortés habe auf Bitten Quauhtlaebanas, des ´Dicken Kaziken´ und Herrschers der
Totonaken, um Hilfe gegen mexicanische Feinde, ihm einen einzigen, aber sehr
markanten Mann mitgegeben. "Er hatte ein hässliches Gesicht und den Bart lang,
das Gesicht zerfetzt, ein Auge blind und ein zerschossenes Bein". Auf diese
Weise sollten die Totonaken in ihrem Glauben bestärkt werden, dass die Kastilier
Leute mit mysteriösen Kräften - eben teules - seien, die es einzeln mit jedem
Feind aufnehmen könnten. Cortés soll gesagt haben: "Ich gebe euch diesen meinen
Bruder mit, damit er die Mexica tötet und aus dieser Stadt verjagt und mir
diejenigen gefangen bringt, die nicht gehen wollen." Natürlich wurde dem armen
Teufel geholfen, so dass der Ausgang des militärischen Abstechers zur
allgemeinen Zufriedenheit verlief und Cortés im Ansehen der Küstenbewohner
beträchtlich stieg, so dass er hier erste Verbündete fand. Was die Mexica von
dem Angriff des ´teule´ gehalten haben, kann man nur mutmaßen. Die Gerüchteküche
über die Identität der unverschämten und kühnen Fremden, die den Dreibund
Tenochtitlán-Texcoco-Tlacopán herausforderten, wird in Zentralmexiko gebrodelt
haben.
Moctezuma jedoch war allenfalls wütend. Seine Tributeintreiber, die Cortés in
einem Geniestreich von den Totonaken gefangensetzen ließ, legten eine
unverhohlene Arroganz gegenüber den Kastiliern an den Tag. Dies spricht nicht
dafür, dass sie von den ´Göttern´ nach ihren ersten Streichen gegen die
mexicanische Oberhoheit eine besonders hohe Meinung hatten.
Mehr Respekt wurde den teules in einigen abgelegeneren Ortschaften gezollt,
durch die sie Anfang August 1519 auf dem Weg nach Tlaxcala kamen, wobei die mit
den Kastiliern verbündeten Totonaken offenbar wesentlich zur Verklärung der
indianischen Sichtweise beitrugen. Zieht man den unscharfen Gottesbegriff der
mesoamerikanischen Menschen in Betracht, so genügten wohl die militärischen
Siege und das missionarische Anliegen der Conquistadoren, ihnen in ländlichen
Gebieten einen gewissen Ruf einzubringen. Der Chronist Piedro Martír d´Anghiera
schreibt: "So enstand der Glaube, vom Himmel seien jene Männer geschickt worden,
die mit so geringer Anzahl gegen solche Übermacht zu kämpfen wagten."
Moctezuma musste nach dem Bau des Conquistadorenstützpunktes Villa Rica de la
Vera Cruz und dem Abfall der Totonaken einsehen, dass es ein Irrtum gewesen war,
von den Conquistadoren zu glauben, dass ihre Anwesenheit nicht von Dauer sein
würde. Statt zurückzusegeln und durch Herumzeigen seiner Schätze seinen Ruhm zu
vergrößern, wagten sie es, ihn zu provozieren.
Provoziert fühlten sich auch die Fürsten Tlaxcalas vom Vormarsch der Kastilier.
Wenn diese gehofft hatten, dass die Tlaxcalteken sich durch ihren Ruf als teules
beeindruckt zeigen würden, sollten sie sich gründlich täuschen. Die mit den
Spaniern verbündeten Zempoalteken schickten Friedensboten zu den Tlaxcalteken,
doch diese entgegneten selbstwewusst: "Wir werden jetzt jene töten, die ihr
teules nennt, und ihr Fleisch essen, und wir werden sehen, ob sie so stark sind,
wie ihr es verbreitet." Der tlaxcaltekische Feldherr Xicoténcatl d.J. verhöhnte
die ´Götter´, indem er ihnen vier Weiber schickte, deren Herzen sie essen
könnten, wenn sie teules seien, sowie Räucherharz, damit sie sich selbst
beräucherten. In den folgenden Kämpfen versuchte er, Spanier und deren Pferde
lebend zu fangen, um auf diese Weise genauere Untersuchungen über ihre
Beschaffenheit anstellen zu können. Noch zweifelnde tlaxcaltekische Fürsten
wandten sich an ihre Priester, die scharfsinnig erklärten, dass es sich bei den
Conquistadoren um Menschen handeln müsse, da sie augenscheinlich Hühner, Hunde,
Brot und Früchte statt Menschenherzen äßen.
Trotz allem kommt es nach mehreren Kämpfen zwischen den Kastiliern und Tlaxcala
zu einem Bündnis. Als Cortés jedoch seine Hauptleute Alvarado und Vázquez de
Tapia als Kundschafter zu Moctezuma entsandte, setzten die Tlaxcalteken alles
daran, die beiden Conquistadoren auf dem Weg zu ihrem Erzfeind verunglücken zu
lassen. Es rückt den wahren Gehalt des ´Götter´-Namens einmal mehr ins rechte
Licht, wenn Vázquez de Tapia lebhaft schildert, wie er mit seinem Kameraden vor
den Tlaxcalteken um sein Leben rannte. Indem ihre mexicanischen Begleiter, denen
das nicht schnell genug ging, sie an den Handgelenken hinter sich herzerrten.
Auf der anderen Seite verbreiteten auch die Tlaxcalteken unter den benachbarten
Volksstämmen fleißig, dass die Fremden Götter seien - um die eigene Schwäche,
die Kastilier nicht besiegt zu haben, weniger schmachvoll erscheinen zu lassen:
"Die Tlaxcalteken sagten ihnen [den Boten fremder Herrscher, die sich über die
Vorgänge in Tlaxcala informieren wollten] noch viele Dinge mehr über die
Ereignisse, um sie in Furcht und Schrecken zu versetzen und damit sie all diese
Sachen im ganzen Lande verbreiteten, wodurch sie wirken würden, und man bejahte,
dass die Unseren Götter seien oder dass es weder eine menschliche Gewalt auf der
Welt gab, die gegen sie kämpfen könne, noch sie zu verletzen, noch sie zu
verärgern vermöge", so Muñoz Camargo. Ohne behaupten zu wollen, dass diese
Gerüchte überall auf fruchtbaren Boden fielen, kann man doch annehmen, dass sie
in allen Regionen Zentralmexikos bekannt waren.
Moctezuma allerdings ließ sich nicht beeindrucken. Trotz der oben zitierten
Rede, die er beim Empfang des Cortés von einem lange erwarteten Fürsten gehalten
haben soll, sei laut Cortés später in Tenochtitlán folgendes geschehen:
Moctezuma habe ihn beiseite genommen und seine Kleidung gerafft. Dann habe er
erklärt: "Ihr seht, dass ich aus Fleisch und Knochen bin wie Ihr [!] und wie
jeder - und dass ich sterblich und berührbar bin. [...] Seht, wie sie Euch
belogen haben." - Die Frage war aus der Sicht Moctezumas also keineswegs, ob
Cortés, sondern vielmehr, ob er selbst ein Gott wäre!
Der Verlauf der späteren Belagerung Tenochtitláns ist bekannt. Trotz ihrer
militärischen Erfolge erlitten die Conquistadoren hohe Verluste. Von insgesamt
ca. 2100 Mann, die unter Cortés gekämpft hatten, starben gemäß der minutiösen
Studie Grunbergs lediglich 39% eines natürlichen Todes. Im schmutzigen Krieg
verflog bald auch der letzte Rest eines Mythos´ von Übernatürlichkeit, den es um
die Kastilier bei den Mexica gegeben haben mag. Spätestens jetzt gelangten die
Mexica zu ihrer endgültigen Identifizierung der Conquistadoren. Díaz del
Castillo erinnert sich: "Sie nannten uns Feiglinge und dass wir zu nichts
taugten, weder zum Häuserbauen noch zum Mais-Pflanzen, und dass wir nur gekommen
waren, um sie ihrer Stadt zu berauben wie Verbrecher, und dass wir aus unserem
Land und vor unserem König und Herren geflohen seien."
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